tl;dr: Betreibt Pascal Voggenhuber Cold Reading? Ich meine: Oh ja!
Es ist schon absurd, wenn einem jemand, der behauptet, dass er mit Toten kommunizieren kann, mit juristischen Schritten wegen unwahrer Behauptung droht. So geschah es mir mit dem Schweizer «Star der Esoterikszene» Pascal Voggenhuber, einem jungen Mann, der sich mit dem Jenseits in Kontakt glaubt und über den ich für die «NZZ am Sonntag» recherchierte.
Nun hat sich Voggenhuber beim Schweizer «Skeptiker»-Verein mit einem Brief gemeldet. Die «Skeptiker» sind – wie ich – der Meinung, Voggenhuber betreibe Cold Reading, eine Frage/Antwort-Technik, die spirituelle Medien und Magier seit über hundert Jahren einsetzen, um ihnen unbekannte Verstorbene scheinbar präzise zu beschreiben. Voggenhuber beklagt, seine Zitate seien aus dem Kontext gerissen worden, um ihn gezielt des Cold Readings zu überführen. Das gleiche warf seine Verlegerin auch mir vor.
Was ist passiert?
Ich hatte mich bei der Recherche bemüht, eine vollständig aufgezeichnete und öffentlich zugängliche Séance Voggenhubers zu finden. Das war nicht einfach. Während Voggenhuber jeden seiner Talkshow-Auftritte online verbreitet, finden sich im Netz so gut wie keine seiner Séancen, nicht mal die öffentlichen. Doch ich hatte Glück. Der paranormale Psi-Verein, Voggenhuber wohlgesinnt, hatte einen seiner öffentlichen Auftritten online gestellt.
Als ich das Video zum ersten mal auf YouTube sah, dachte ich verblüfft: «Krass, der kann das wirklich! Wie macht der das?!» Voggenhuber konnte einfach beschreiben, wie der Sohn einer Mutter gestorben ist. Lange hielt die Verblüffung aber nicht an. Man muss nur den Wikipedia-Eintrag zum Thema «Cold Reading» lesen und die Séance hat nichts Übersinnliches mehr.
Als ich Voggenhuber damit (und noch anderen Ungereimtheiten, etwa der Vortäuschung eines Sponsorings durch Adidas) konfrontierte, erhielt ich wütende Mail von seiner Verlegerin. Ich würde Aussagen «völlig aus dem Kontext» reissen, um eine «negative Berichterstattung zu machen». Hinter dem Video zu stehen schien man aber auch nicht. Es verschwand von YouTube.
Ich hatte das Video vorsorglich gespeichert und habe lange überlegt, ob ich es wieder online stellen soll. Voggenhuber müsste eigentlich auch daran interessiert sein, schliesslich hat er es selbst gemacht und es zeigt eine vollständige Séance. Nichts ist aus dem Kontext gerissen. Andererseits scheint Voggenhuber momentan recht zügig seinen Anwalt zu beschäftigen und ich habe keine Lust, dies ebenfalls tun zu müssen. Man riet mir, das Video lediglich zu beschreiben. Vielleicht taucht es ja nochmals irgendwo in den unergründlichen Weiten des Internets auf. So sieht es aus:

Schauen wir uns Satz für Satz an, was in dem Film passiert, denn es ist durchaus faszinierend. Voggenhuber steht in Zürich vor 200 Personen (plus angeblich 600 in der geistigen Welt, wie er sagt). Er beginnt:
Ich habe einen jungen Mann hier und er sagt mir, dass seine Mutter heute hier ist, also eine Mutter, die ihren Sohn verloren hat.
Offenbar melden sich einige, nicht überraschend bei 200 Personen, die alle gekommen sind, um einer Séance beizuwohnen. Voggenhuber schränkt ein:
Er sagt, er hatte einen Unfall, also nicht irgendwie Selbstmord oder so. Es war ein Unfall.
Eine Frau meldet sich, eine andere weiss es nicht, Voggenhuber macht, so scheint es, mit beiden weiter. Er sagt:
OK. Was ich einfach spüre, und deshalb kam ich auf Unfall: Der Tod ging sehr schnell. Und es gab von aussen Verletzungen.
Offenbar kann die eine Mutter etwas damit anfangen. Voggenhuber legt los mit der Beschreibung eines Hauses, es geht sehr schnell, wie beim Poetry-Slam:
Und was er mir auch erzählt: Er zeigt mir auch eine sehr ländliche Gegend, also nicht in der Stadt Zürich. Macht das Sinn für dich?
Offenbar macht es Sinn. Wir wissen nicht, wie die Frau aussieht, aber ich würde sagen, dass man Menschen vage ansieht, ob sie direkt aus der Stadt Zürich kommen. Möglicherweise sprach er sogar noch mit beiden Frauen, ein Treffer ist also wahrscheinlich. Voggenhuber beschreibt das Haus weiter:
Wenn man zum Fenster raus schaut, ist das nicht grad im Dorfkern innen, sondern ein bisschen ausserhalb, wenn man rausschaut, dass man auch die Bäume und so sieht. Macht das Sinn für dich?
Klar. Trifft wahrscheinlich auf 90 Prozent aller Wohnhäuser zu, die nicht direkt in der Stadt stehen. Ausserdem sagt Voggenhuber nicht einmal – aber das fällt beim blossen Hinhören bei dem Tempo, mit dem er vorträgt, nicht auf –, dass der Verstorbene in einem solchen Haus und einer solchen Gegend lebte. Dieser «zeigt» es nur. Wessen Haus also soll es sein? Das des Verstorbenen? Das der Eltern damals? Der Eltern heute? Die Person darf nur mit Ja/Nein antworten.
Er erzählt mir auch, dass du sehr eigenartig auf mich aufmerksam wurdest. Also du hast nicht irgendwie… bist durch Zufälle auf mich gekommen. Er sagt mir, Du wolltest immer ein Zeichen aus der geistigen Welt und er wollte es dir geben. Ok?
Mal abgesehen davon, dass Voggenhuber behauptet, die Verstorbenen würden nicht mit ihm reden, sondern sich nur über Impulse äussern und mir nicht klar ist, wie man einen solchen Sachverhalt impulsiv ausdrücken kann: Ja, ich glaube das macht Sinn. Warum sollte die Mutter sonst die Veranstaltung besucht und sich gemeldet haben? Und wie sonst als irgendwie durch Zufall sollte man auf Voggenhuber aufmerksam werden? Auch hier zweimal: Ja.
Er erzählt mir noch etwas von einem Martin, sagt dir der Name Martin etwas? Nicht sein Name, aber jemand, den er gut kennt. Kannst du das verstehen?
Sie kann, wenig überraschend. Ich kenne niemanden, der keinen Martin kennt. Ok, das ist fies: Ich heisse selbst so. Trotzdem nicht grad ein seltener Name. Und überhaupt: Warum erzählt der Verstorbene eben erst detailliert, wie seine Mutter auf Voggenhuber aufmerksam wurde, kann aber dann nicht einfach sagen, wer dieser Martin war?
Kannst du verstehen, dass er Martin gratulieren möchte? Du kennst ihn nicht ganz so gut, aber kannst du rausfinden, das muss jemand sein, der ihm nahe steht. Ok? Kannst du schauen, ob er ihm gratulieren muss, kann?
Die Mutter sagt, Martin hätte eben Geburtstag gehabt.
Eben. Er möchte gratulieren.
Warum er auch das nicht gleich selbst gesagt hat: Unklar. Voggenhuber lässt zum Antworten kaum Pausen. So fällt beim Zuhören auch nicht auf, wie seltsam diese Aussage ist. Die Mutter soll Martin erst nicht «ganz so gut» kennen, dann aber doch wissen, dass er grad Geburtstag hatte. Es geht weiter:
Was er mir noch sagt, was ihm ganz wichtig sei, oder eine Frage, die du dir viel stellst: ob er sofort gestorben ist, ob er grad tot war, oder ob er noch etwas mitbekommen hat nach dem Unfall. Macht das Sinn für dich? Er sagt, die Ärzte hätten dir zwar gesagt, dass er nichts mehr mitbekam, aber dass du heute noch nicht ganz sicher bist, dass das eine offene Frage bei dir ist. Kannst du das verstehen?
Sie kann es verstehen. Und ich denke, jeder kann das verstehen. Diese quälende Frage stellt sich immer bei einem Unfall, der «sehr schnell» ging, und Ärzte versuchen hier oft zu beschwichtigen.
Er sagt, er hat nichts mehr mitbekommen. Er hatte starke Kopfverletzungen. Macht das Sinn? Ich habe auch das Gefühl, dass er mehr auf der rechten Seite Problem am Kopf hatte, und er gibt mir das Gefühl, dass er sofort einen Genickbruch hatte. Macht das Sinn?
Die Mutter antwortet: «Genau» und im ersten Moment (oder beim blossen Zuhören) ist das verblüffend, in Anbetracht dessen, dass Voggenhuber bei der Auswahl der Person bereits eingeschränkt hat, dass der Verstorbene bei einem Unfall sehr schnell und durch Verletzungen von Aussen umgekommen ist, macht «starke Kopfverletzungen» und/oder Genickbruch (was auch immer «mehr auf der rechten Seite» bei einem Genickbruch heisst) zu einer Spekulation mit guter Trefferwahrscheinlichkeit. Und wenn er falsch gelegen hätte, hätte er die Situation leicht retten können, wie wir gleich sehen werden.
Er sagt, er sei sehr viel bei dir.
Selbst Kritiker halten Voggenhuber zugute, dass er die seelsorgerische Arbeit eigentlich ganz gut mache. Es sind Sätze wie diese, die sie zu diesem Urteil veranlassen. Ich kann dem teilweise zustimmen. Voggenhuber ist tröstlich. Er hat aber auch eine unnötig besserwisserische Seite, die sich im Folgenden noch zeigen wird und die ich für seelsorgerisch fragwürdig halte. Doch weiter:
Hast du einen Putzfimmel, ist das richtig?
Gelächter. Voggenhuber, auch das kann man ihm zugute halten, versucht die Stimmung immer wieder aufzuheitern. Die Mutter sagt, dass das schon nachgelassen habe. Also kein Putzfimmel.
Ok, aber kannst du das verstehen, dass du einen Putzfimmel hattest? Weil er zeigt mir, wie du am Fensterputzen bist und viel mit ihm redest. Und er zeigt mir auch, dass du vor kurzem erst Grad die Fenster geputzt hast und mit ihm geredet hast oder ihn gebeten hast, er soll dir ein Zeichen geben. Macht das Sinn für dich? Er sagt, er hat heute die Möglichkeit genutzt, um dir ein Zeichen zu geben. Er sagt, du spürst ihn manchmal auch, aber du zweifelst die ganze Zeit.
Es macht. Warum sollte es auch nicht? Bis hierher lief die Session sehr gut, Fehler waren in dem Frage/Antwort-Spiel keine dabei. Das ist wohl auch der Grund, weshalb die Aufnahme via Voggenhuber-Fans den Weg ins Internet fand. Bei dem Auftritt, den die «Skeptiker» besuchten, soll es holpriger gelaufen sein. Doch läuft auch diese Sitzung nun etwas aus dem Ruder:
Er sagt auch, dass dein Mann noch nicht so weit ist, mit dir zu einem Medium zu gehen. Kannst du das verstehen? Und dass es viel Diskussionen deswegen gibt. Macht das Sinn für dich? Und er sagt: Lass ihn einfach. Er hat dich in deinem Herzen und er wird irgendwann erfahren, dass er noch da ist. Aber es gibt manchmal Streit deswegen. Kannst du das verstehen?
Das überrascht die Mutter: «Streit gibt‘s?» fragt sie.
Weisst du, wegen dem dem Medium mit deinem Mann.
«Naja, Streit grad nicht…», versucht sie zu erwidern, obwohl sie eigentlich nur mit Ja/Nein antworten dürfte. Doch da fällt ihr Voggenhuber gleich ins Wort, als ob er richtig liegen würde:
Jaja, es aber gibt Diskussionen, sagt er mir. Und er sagt einfach: Lass ihm Zeit. Ok?
Ich weiss nicht, wie sich die Mutter in dem Moment fühlt, aber ich fände es ärgerlich, wenn mir Voggenhuber nach einem Fehler seinerseits nicht nur das Wort abschneidet, sondern dann auch noch über meinen Sohn ausrichten lässt, dass ich Streit mit meinem Partner habe. Doch es geht schnell weiter:
Weil dein Sohn ist noch nicht lange in der geistigen Welt, habe ich das Gefühl…
«Doch!» erwidert die Mutter. Alles lässt sie sich nicht mehr sagen.
Wie lange schon?
«15 Jahre», sagt sie. Voggenhuber gesteht:
Ok, das ist sehr lang.
Das ist in der Tat sehr sehr lang. Voggenhuber könnte den Fehler eingestehen. Doch er deutet ihn flux zu seinen Gunsten um:
Weil für mich fühlt es sich noch sehr frisch an, als wäre es ihm ein extremes Bedürfnis, durchzukommen. Meistens ist das, wenn sie noch nicht so lang in der geistigen Welt sind. Aber das zeigt eben auch, dass die geistige Welt immer den aussucht, bei dem noch sehr viel Heilung stattfinden kann, weil es dich wahrscheinlich immer noch sehr beschäftigt. Macht das Sinn? Ok.
Das macht vor allem Sinn für Voggenhuber. Die Mutter muss dranbleiben, wenn sie den Kontakt zu ihrem verstorbenen Sohn nicht abbrechen will.
Ich finde den Auftritt verblüffend, doch nicht im Geringsten paranormal. Es ist Cold Reading nach Schema F. Zuerst das Beschreiben eines Hauses (sinnlos, denn wozu sollte ein Verstorbener seinen Angehörigen erzählen, wie er gewohnt hat?), dann versuchen, Details zu nennen, die spezifisch wirken, aber auf die meisten zutreffen (in diesem Fall: ein Martin). Fehler deutet man dabei konsequent zu seinen eigenen Gunsten um. Ist die Person nach solchen Treffern emotional ergriffen, verläuft der Rest der Sitzung normalerweise wie im Fluss.
Ob Voggenhuber Cold Reading bewusst oder unbewusst einsetzt, weiss ich nicht. Die Frage scheint ihn aber auch nicht sonderlich zu interessieren. Lieber wirft er Kritikern vor, sie würden ihn aus dem Kontext zitieren. Nun ja.
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