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Autobahn vs. Route 66

Könnte man die deutsche Autobahn nicht genauso vermarkten wie die Route 66? Überlegungen auf der berühmtesten Nebenstraße der Welt, in einem Dorf in Illinois und an der Berliner Tourismus-Messe. 

Grosse Ideen beginnen meistens in Amerika und meistens mit Blick auf eine Weltkarte. Ich stand in einem Dorf in Illinois im Route-66-Museum, blickte auf die Karte voller Stecknadeln und dachte nur: „Diese Nadeln holen wir uns!“

Wochen später dann sass ich an der Internationalen Tourismus-Messe ITB in Berlin an einem Fass am Stand Baden-Württembergs, flankiert von einem alten Porsche und einem alten Mercedes, und am Ende langer Ausführungen stellte ich eine Tasse mit rot-blauem Logo und der Aufschrift „Historic Autobahn“ auf das Fass und der Tourismusmarketing-Chef sagte dazu: „I find’s stark!“

In solchen Momenten glaubt man, eine ganz grosse Idee geboren zu haben.

Oder die dümmste in der Geschichte des Tourismus.

Jedenfalls war ihr Ursprung reichlich unspektakulär. Mit einer Gruppe deutscher Reise-Journalisten fuhr ich ins Dorf Pontiac im US-Bundesstaat Illinois. Wir wollten mehr erfahren über die berühmteste Nebenstraße und die – nach der Chinesischen Mauer und der Transsibirischen Eisenbahn – vielleicht drittlängste Sehenswürdigkeit der Welt: die Route 66.

Zwar fängt diese mythische Landstrasse bereits in Chicago an. Aber der kleinen braunen Tafel zwischen den Fastfood-Läden „Panda Express“ und „Bennigan’s“ fehlt einfach die Würde, um den Anfang von etwas so Grossem zu markieren. Die Einwohner der Gemeinde von Pontiac kompensierten. Sie liessen die Gemäuer ihres Dorfes mit Werbemotiven im Zwanzigerjahre-Stil bemalen. Außerdem richteten sie ein paar kleine Automobil-, Kunst- und Route-66-Museen ein. Und sie wählten einen ehrenamtlichen Bürgermeister, der hier jeden Touristen persönlich begrüsst, so, als könnten die Besucher ihn wählen. Uns stellte er sich als „the Bürgermeister“ vor:

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Graubärtige Männer und weißhaarige Rentner ließen sich in Pontiac mit ihren Harley-Davidsons und Chevrolet-Oldtimern vor dem weltgrößten, als Drive-through angelegten „Route 66“-Schild fotografieren, bevor sie sich auf die 4000 Kilometer lange Reise über Oklahoma, Texas, durch die Steppe von New Mexico und Arizona nach Los Angeles machten. Als sie aufbrachen, rief ihnen der Bürgermister hinterher: „You are having the time of your life!“

Dabei ging es bei der Route 66 selten um Hochgefühl. Sie war ab den zwanziger Jahren einfach nur der einzige befestigte Weg nach Westen. Während der Great Depression und der Dürrejahre reisten Wirtschaftsflüchtlinge auf ihr nach Kalifornien, bestenfalls hoffnungsfroh. Nach dem Zweiten Weltkrieg allerdings begann man die einspurige Holperstraße durch Autobahnen zu ersetzen. Die verkehrstechnische Bedeutung der Route 66 schwand. Dafür wuchs ihre mythische, als Symbol von Aufbruch und Freiheit. In den Achtzigern war dann ein Friseur aus Arizona derart darüber empört, dass die Welt plötzlich via Interstate einen großen Bogen um sein Dorf machte, dass er die „Route 66 Association“ gründete. Die alte Straße sollte als Denkmal anerkannt und ihr Erbe mit alten Tankstellen, alten Motel-Schildern und alten Diners fortan gepflegt werden. Deshalb waren auch wir hier.

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Eine geniale Idee von diesem Friseur, dachte ich neidvoll in Anbetracht der Weltkarte im Route-66-Museum, durch das uns „the Bürgermeister“ voller Euphorie führte. Eben hatte er sich mit Hilfe seines Smartphones und Google Translate drei verwirrten Chinesinnen vorgestellt. Mit Stecknadeln markierten die Besucher ihre Herkunftsländer: Japan, China, Indien und vor allem Europa. Alle suchten sie hier dieses latente Gefühl von Freiheit. Und das war der Moment, in dem ich dachte: Warum vermarktete man die deutsche Autobahn nicht genauso? Jeder auf der Welt kennt sie. Jeder spricht ehrfurchtsvoll von der deutschen Straße ohne Tempolimit. Und die Band Kraftwerk hat mit ihrem Album „Autobahn“ 1974 Musikgeschichte geschrieben: „Wir fahr’n, fahr’n, fahr’n auf der Autobahn“ ist auch nach vierzig Jahren in fast jedem Kopf abrufbar. Ließe sich das alles nicht ganz vorzüglich touristisch vermarkten?

„Die Deutschen verbinden mit der Autobahn vor allem Stau und Verkehr, keine Freude“, sollte mir dann allerdings auf der ITB der Leiter des Hessischen Tourismusmarketings an der „Äbbelwoi“-Bar zu bedenken geben. „Aber“ – und dieses Aber ist entscheidend – „im Ausland ist die Autobahn positiv besetzt.“ Sie stünde für deutsche Automobile, Technologie und Tempo – und dafür, dass man keine Maut bezahlen muss. Für Chinesen gibt es deshalb sogar Raser-Reisen. Warum also nicht die Ur-Autobahn, diese Hamburg-Frankfurt-Basel-Route, genannt „HaFraBa“, als deutsche Route 66 verkaufen? Sie markierte in den zwanziger Jahren die Grundidee der Autobahn: eine Art Panamakanal durch Europa, freie Fahrt nach Süden, von Hamburg bis nach Genua.

The Bürgermeister – mittlerweile wie ein VW-Käfer am Gotthardpass, also kaum mehr zu bremsen – führte uns vor, wie man eine Straße statt mit Betongrau mit Himmelblau assoziiert. Pontiacs Ausstellungen zeigen nicht gerade die düsteren Seiten der Route 66. Hier stehen schicke Autos aus den prosperierenden fünfziger Jahren und Dinge, an die man sich gern erinnert, wie die angeblich weltgrößte Motorölbüchsen-Sammlung. Und genauso sollte man das in Deutschland mit der Autobahn halten: Wir bedienen uns an der Wirtschaftswunderzeit, nehmen Heino statt Elvis, Käfer statt Pontiac und Knorr- statt Coca-Cola-Werbeschilder.

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Zurück in Deutschland, entwarf ich in einer ereignislosen Abendstunde das Logo für die „Historic Autobahn“ und ließ es auf eine Tasse, eine Kappe und einen Schlüsselanhänger drucken. Bald, da war ich mir sicher, sollte es die gesamte Autobahn Hamburg-Basel schmücken.

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Meine Euphorie, die deutsche Version des Friseurs aus Arizona zu werden und an einer Raststätte im Breisgau einen Autobahn-Souvenirladen zu betreiben, wurde in Pontiac sogar noch stärker: Beim Mittagessen saß ich mit der Marketing-Direktorin des Dorfs am Tisch, einer Frau wie aus einer amerikanischen Fernsehserie, die man sich während des Austauschjahres in den Vereinigten Staaten als Mutter gewünscht hätte. Sie erzählte, wie der schottische Komiker Billy Connolly die Route 66 mit einem Trike bereiste und darüber eine Doku-Reihe drehte. Connolly ist der idealtypische Route-66-Tourist: etwas älter schon, ein Rock ’n’ Roller durch und durch, der sich aber trotzdem wie ein kleiner Junge an so was wie dem weltgrößten Schaukelstuhl erfreuen kann.

Welche Persönlichkeit, fragte ich, könnte die Schönheiten entlang unserer „Historic Autobahn“ der Welt präsentieren? Grimms Märchenwälder in Hessen, den Rhein in Baden-Württemberg, und vielleicht würde sich sogar in Niedersachsen etwas finden. Die Person müsste berühmt sein und zugleich für Automobilkultur und Deutschland stehen. Vielleicht lag es daran, dass wir tief in unsere Burger schauten. Vielleicht war es auch nur ein Witz. Jedenfalls sagte die Marketing-Direktorin: „David Hasselhoff!“ David Hasselhoff, das war wirklich genial. Ich hatte ihn sofort vor Augen, wie er eine Woche lang abwechslungsweise in einem alten Käfer und dann in seinem K.I.T.T. über die deutsche Autobahn fuhr. Und ist „Looking for Freedom“ nicht auch nur eine Coverversion von Tony Marshalls „Auf der Straße nach Süden“, einem Loblied auf das planlose Leben auf dem Weg zur Sonne?

Ich verabschiedete mich von der Marketing-Direktorin, und dann muss ich im Ortsmuseum irgendwo falsch abgebogen sein. Jedenfalls war ich plötzlich von Schaufensterpuppen umstellt, die mich in ihren Militäruniformen aus dem Zweiten Weltkrieg schweigend und vorwurfsvoll anschauten. Das Kriegsmuseum war nicht für die Besucher aus Germany gedacht. Vor der Vitrine mit Nazi-Memorabilia versank ich in unschlüssige Gedanken, ob das mit der Autobahn so eine gute Idee war.

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In dieser gemischten Gefühlslage schlenderte ich ein paar Wochen später über die Messestände der ITB. Doch Andreas Braun, Tourismusmarketing-Chef von Baden-Württemberg, beruhigt mich. „Ein Problem ist es nur, wenn man es verschweigt“, meint er, die Nazi-Sache betreffend. Wir führen stattdessen ein Gespräch, wie es möglicherweise in solcher Zartheit noch nie über die deutsche Autobahn geführt wurde. Und wie es wahrscheinlich nur ein Schwabe mit dieser einmaligen Liebe für sanfte Hügel und starke Motoren führen kann. „Die A5 ist landschaftlich sehr reizvoll“, sagt Braun. „Da ist der Odenwald, der liebliche Kraichgau, die Sicht auf den Pfälzer Wald, eine urdeutsche Landschaft. Und dann das subalpine Freiburg mit dem Kaiserstuhl, wo man an den Bergspitzen sogar schon kahle Kuppen sieht.“

Liebe zur Landschaft alleine verkauft aber noch keine Autobahnreisen. „Das Produkt muss buchbar sein“, meint der Marketing-Chef der Hessen, als kühle Rechner bekannt. „Man muss das Thema, das Fahren, erleben können.“ Flug nach Hamburg, schicken Sportwagen oder alten Käfer mieten, und dann ab auf die Straße. So sieht es auch die Verantwortliche aus Niedersachsen, ebenfalls angetan von meiner Idee. „Es müsste eine Erlebnisroute werden“, meint sie. „In Asien oder auch im arabischen Raum könnte das gut ankommen. In Letzterem vielleicht auch mit Fahrer.“ Mit lieblichen Landschaften kann Niedersachsen auf der „Historic Autobahn“ zwar nicht punkten, aber dafür sind die Straßen dort lang, langweilig und leer. Also perfekt, um auch mal richtig zu beschleunigen. To get that special Autobahn feeling.

Ich konnte es kaum glauben, aber nach einem Tag auf der Tourismusmesse hatte ich alle wichtigen Parteien an Bord. „Mal was ganz anderes!“, hieß es aus Schwaben. „Halten Sie mich auf dem Laufenden!“, war die Botschaft aus Hessen. „Wir gehen zusammen Auto fahren“, lud man mich nach Niedersachsen ein. Das heißt, nun ja: Ich hatte fast alle Parteien an Bord.

Man hatte mich hinter vorgehaltener Hand bereits gewarnt: Fahrspaß zu vermarkten sei unter roten und grünen Landesregierungen nicht ganz einfach. Und diese Spaßbremsen sitzen von Hamburg bis Basel an jedem Hebel der Macht. Aber auch was der Bund an neuen Tourismusprodukten präsentierte, ließ erahnen, dass der Zeitgeist nicht ganz optimal bestellt ist um meine Idee: Natururlaub und Nachhaltigkeit sowie Reiserouten für das Lutherjahr 2017 und den 500. Geburtstag von Lucas Cranach werden die neuen Steckenpferde. Luther? Cranach? Who wants to fuck that?!

Als ich dann die Tourismusbeauftragte der Bundesregierung, ein SPD-Urgestein, mit dem Argument zu gewinnen versuche, dass die Autobahn ohne Tempolimit doch viel mehr für Freiheit stehen würde als die Route 66, lacht sie nur, ungefähr so, wie man über ein Kind lacht, das zum ersten Mal Mississippi buchstabiert. Dann beginnt sie von irgendeinem längsten Tunnel in ihrem Heimatland Thüringen zu erzählen. Als ob das irgendjemanden interessierte.

Die Reportage ist in leicht abgeänderter Fassung in der Frankfurter Allgemeinen Sonntagszeitung erschienen. Die Reise nach Pontiac wurde teilweise durch United Airlines, den Bundesstaat Illinois und FTI unterstützt. FTI bietet Route-66-Rundreisen an, im Mietwagen oder auf einer Harley-Davidson. Die Route 66 Association informiert über die jeweiligen Bundesstaaten, in Illinois etwa unter www.illinoisroute66.org.

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