
Gib mir die Kugel
Eis zu Kugeln zu formen und diese aus dem Portionierer zu kriegen – warum ist das bloß so schwierig? Über hundert Patente versprechen die Lösung.
„Noch nicht ganz“, sagt Lucas Bignon am Telefon, und man möchte am liebsten antworten: „Wie bitte?! Noch immer nicht? Nach über hundert Jahren Entwicklung? Wie lange, in Herrgottsnamen, müssen wir noch auf so was Simples wie eine Kugel Eis warten?“
Bignon ist Produktdesigner für einen französischen Hersteller von Küchenutensilien. Und er hat das jüngste Patent auf einen Eisportionierer. Die Frage an ihn war: Hat er sie endlich gefunden, die perfekte Lösung für diesen Kugeleislöffel?
Wahrscheinlich haben auch Sie einen Eisportionierer in Ihrer Küchenschublade. Vielleicht sogar zwei. Oder drei. Jedenfalls kommt alle paar Jahre ein neues Modell auf den Markt, das mit einem neuen technologischen Kniff im Handumdrehen die perfekte Eiskugel verspricht. Und dann doch wieder nicht funktioniert. Die Kugel bleibt kleben, Bügel und Zahnräder verklemmen, man braucht zu viel Kraft, oder die Mechanik ist kaum zu reinigen.
Ein Blick in die Patentdatenbanken offenbart, dass sich Erfinder und Designer schon seit dem 19. Jahrhundert am Kugeleis-Problem abmühen. „Die Entwicklung ist kompliziert“, sagt Bignon. „Das Hauptproblem ist die Klebrigkeit von Eiscreme. Und es gibt so viele verschiedene Arten, und jede ist anders.“ Das Beste sei, den Portionierer in Wasser zu stellen und das Eis richtig zu temperieren. Zu kalt ist es nicht formbar, zu warm bleibt es kleben. Aber Bignon mag diese Lösung nicht: „Es ist zu kompliziert für den Kunden.“
Der Kunde will sich natürlich nicht viele Gedanken um Eistemperaturen machen. Deshalb versprechen weit über hundert Hersteller, ihm die Denkarbeit abzunehmen. Lässt man Absonderlichkeiten wie den Portionierer mit Ellbogenverlängerung oder jenen mit Pedal außer Acht und fasst all jene, die nur ein Patentanwalt auseinanderhalten kann, zu jeweils einer Gruppe zusammen, hat man sechs Methoden, um die Eiskugel möglichst unbeschadet aus der Form zu bugsieren: Klinge, Katapult, Presse, Muschel, Heizung, Silikon.
Die älteste und bis heute populärste ist die Klinge. Wie eine Sense schält sie die Kugel aus der Form. Wie die Klinge wiederum in Bewegung versetzt wird, ob mit der ganzen Hand wie bei einer Zange, nur mit dem Daumen wie bei einer Fahrradklingel oder über einen Abzug wie bei einer Bohrmaschine, dazu gibt es zahllose Patente. Die Zange ist aber wegen der Zahnrad-Mechanik störanfällig. Technisch weniger problematisch ist das Katapult, das die Kugel per Hebel aus der Form drückt. Bloß setzt der Hebel nur an einem einzelnen Punkt an, und die Kugel droht – falsch temperiert – kleben zu bleiben.Keine Lösung war offenbar, die Kugel mit Luftdruck aus der Form zu blasen, ein Patent gibt es zwar, aber kein Modell hat es je zur Marktreife gebracht (wenn auch die Weiterentwicklung, die Pumpe mit dem Fuß zu bedienen, einen gewissen Charme hatte). Eine Abwandlung des Katapults ist die Presse, bei der man das Eis wie Keksteig zuerst in die und dann wieder aus der Form drückt. Vorteil: Vom Würfel über das Herz bis zum Stern sind fast alle Formen machbar. Nachteil: nur eben keine Kugel.
Beim System Muschel öffnet sich gleich die ganze Kuppel, bei einem neuen Modell sogar in eleganter S-Form, was gar nicht schlecht funktioniert, vorausgesetzt, das Eis ist fest genug und bricht beim Öffnen nicht auseinander. Bloß sieht jenes Modell mehr wie ein Werkzeug als wie ein Servierlöffel aus. Das ist überhaupt interessant, wenn man sich mit Eisportionierern beschäftigt: Die Hersteller scheinen ihre Kunden eher durch Technik als durch Design überzeugen zu wollen. Nur ein einziger Eisportionierer steht als Designklassiker im New Yorker MoMA – der simple, wenn auch durch Flüssigkeit im Griff erwärmte Schaber von Sherman L. Kelly von 1935. Wärme ist sowieso ein gutes Stichwort: Natürlich gibt es auch Varianten, die man mit Strom erhitzen kann.
„Mein Modell ist nicht so schlecht“, sagt Bignon vorsichtig. Er folgte vor ein paar Jahren einem Küchengerätetrend und verbaute Silikon. Die Kugel drückt man bei seinem Modell also einfach mit dem Daumen aus einer Silikonkuppel. Clevere Idee. Keine störanfällige Mechanik. Und sieht auch schön schlicht aus. Also kaufen? Aber dann passiert, was immer passiert. Die eine oder andere Kugel gelingt so halb. Ist das Eis zu weich, bleibt es in der Kuppel kleben und macht die Bewegung des Silikons einfach mit, anstatt sich davon zu lösen und in die Schüssel zu fallen. Oder es bricht auseinander. Ist die Kuppe durch die Eismasse verschmiert, macht man sich beim Drücken die Finger klebrig. Geht das wirklich nicht einfacher?
Die Wahrheit ist: doch. Bignon dürfte es nicht sagen, weil er seinen Eisportionierer verkaufen muss. Er sagt es trotzdem, weil er cool wie Eiscreme ist: „Im Grunde ist ein Löffel perfekt.“