Es gibt dieses Video von Marcel Reich-Ranicki, das mich jedes Mal zu Tränen rührt. Es ist wahrscheinlich die Vollendung der Litearturkritk. Gäbe es Literaturkritik-Karaoke, ich könnte es auswendig mitsprechen:
Vor zwei Jahren erschien das Buch „Allein unter Deutschen“ von Tuvia Tenenbom. Ich fasste es damals einem befreundeten Journalisten so zusammen:
Tuvia Tenenboms „Allein unter Deutschen“ ist ein blödsinniges, ein albernes, ein törichtes Werk voller Widersprüche. Eine sich ständig wiederholende Reportage, übertrieben, wirr und ziellos. Der Mann kommt offenbar vom Theater. Entsprechend ist alles voller Dialoge. Man weiss oft gar nicht, wer da spricht. Und dann die Reise: Wirr und ziellos fährt Tenenbom durch Deutschland. Kaum hat er Frankfurt verlassen, erscheint er in Köln. Kaum hat er Köln verlassen, erscheint er wieder in Frankfurt. Was soll dieser Blödsinn? Kann er sich nicht orientieren?
Und trotzdem liebe ich dieses Buch. Ich habe es noch in der englischen Fassung gelesen – und fand es fabelhaft. Es ist ein einziger Vulkanausbruch. Geschwätzig, töricht, aber auch unheimlich leidenschaftlich und lustig. Ich las, es hätte eine orientalische Erzählweise. Ich weiss nicht, was das ist, aber es soll mit Reihung, Steigerung, Wiederholung und wohlkalkulierter Redundanz zu tun haben, bei der der Plot das Unwichtigste ist. Es ist eines meiner liebsten Reportage-Bücher.
Jetzt ist Tenenboms zweites Reportagebuch erschienen: „Allein unter Juden“, eine Reise durch Israel (ein Auszug war im Zeit-Magazin). Ich habe es über die Feiertage gelesen. Es war eine Qual. Es war ein Fest.