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… oder eben wählen?

6. Dezember 2016

herrfischer

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Pre-Update: Ich habe zum Thema in der Zwischenzeit noch einen etwas ausführlicheren Bericht für die NZZ verfasst…

 

Was steckt hinter der 1400% Facebook-Conversion-Rate, der «Bombe», von der das «Magazin» raunt, dass sie Trump zum Sieg verholfen habe? Teile der Antwort könnten euch beruhigen.

Der Artikel «Ich habe nur gezeigt, dass es die Bombe gibt» aus dem «Magazin» des Zürcher Tages-Anzeigers ging übers Wochenende ordentlich rum in den sozialen Medien. Auch ich leistete mit einem Tweet meinen Beitrag dazu.

Für alle, die die Diskussion nicht verfolgt haben:

Der Mann, der bald seine (kurzen) Finger auf dem Atombomben-Zündknopf hat (Trump), soll dem Artikel zufolge schon im Wahlkampf eine Art Social-Media-Bombe besessen haben. Nein, nicht sein Twitter-Account. Sondern eine Firma namens «Cambridge Analytica», die sich die Methoden des Stanford-Psychologen Michal Kosinski zu eigen gemacht hat, allein anhand von Facebook-Likes bemerkenswert gute Psychogramme von Personen zu erstellen.

Die These der «Magazin»-Autoren Hannes Grassegger und Mikael Krogerus geht nun ungefähr so: Die Trump-Campaign soll mit Facebook-Werbung Wähler je nach Psychogramm individuell manipuliert haben, Trump wählen zu gehen oder wenigstens den Wahlurnen fern zu bleiben.

Nur: Ob das alles so funktioniert hat, wie es Grassegger/Krogerus – im Wesentlichen mit grossspurigen Aussführungen des «Cambridge Analytica»-CEO – herbeischreiben, daran gab es mittlerweile einige Kritik mit vielen Gegenargumenten (um es mal zurückhaltend auszudrücken).

 

Ein entscheidendes Argument von Grassegger/Krogerus‘ These blieb in der Kritik aber bislang aussen vor. Man findet es in einem dieser journalistisch haarigen «also… oder eben»-Teilsätze am Schluss des Artikels:

Nach der US-Wahl steht die Universität kopf. Kosinski antwortet auf die Entwicklungen mit der schärfsten Waffe, die einem Forscher zur Verfügung steht: mit einer wissenschaftlichen Analyse. Zusammen mit seiner Forscherkollegin Sandra Matz hat er eine Reihe von Tests durchgeführt, die bald veröffentlicht werden. Erste Ergebnisse, die dem «Magazin» vorliegen, sind beunruhigend: Psychologisches Targeting, wie Cambridge Analytica es verwendete, steigert die Clickraten von Facebook-Anzeigen um über 60 Prozent. Die sogenannte Conversion-Rate, also wie stark Leute – nachdem sie die persönlich zugeschnittene Werbung gesehen haben – auch danach handeln, also einen Kauf tätigen oder eben wählen gehen, steigerte sich um unfassbare 1400 Prozent.

Nur: Was hatten Kosinski et. al. in ihren Experimenten eigentlich gemessen? Kauf tätigen? Wählen gehen? Nicht Wählen gehen? Anders Wählen gehen als geplant? Oder ganz was anderes? Worauf beziehen sich diese «unfassbaren» 1400 Prozent aus den Ergebnissen, die dem «Magazin» vorlagen und «beunruhigend» sein sollten?

«Gebt Euch Mühe und bringt mir Fakten», teilte Grassegger am Sonntag auf Twitter gegen Kritiker aus – blieb aber selbst eher Fakten-sparsam. Hanna Wick telefonierte nun dankenswerter Weise mit der Psychologin Sandra Matz, und schickte mir das Gespräch zu. Also:

Unterteilt wurden Extrovertierte und Introvertierte, kategorisiert anhand ihrer Likes. Dann wurden zwei App-Spiele mit Facebook-Anzeigen bei beiden Gruppen beworben: eine Party-App, die die Extrovertierten ansprach, und ein Brickbreaker-Game für die Introvertierten. Die Apps waren kostenlos, gezählt wurden die Downloads – und die Spiele kamen unterschiedlich gut an.

1400% unterschiedlich gut.

Das ist nicht uninteressant. Aber ob es sich auf Wahlen übertragen lässt? Auf den Trump-Wahlkampf gar, wie es Grassegger/Krogerus kurzerhand mit einem «oder eben»-Satz tun? Sandra Matz hat nicht emperisch belegt, dass die Kampagnen von Cambridge Analytica Einfluss auf die Wahlergebnisse in den USA hatten. Das war nicht Teil ihrer Forschung. Sie schreibt mir zwar, dass es gute Gründe gebe, dies anzunehmen, weil genügend Forschung nahelege, dass Ergebnisse aus dem Bereich Konsumprodukte auf andere Bereiche übertragen werden können und Persönlichkeit auch ein sehr starker Prädiktor politischer Überzeugung ist. Aber wie stark wirkt da nun eine Facebook-Werbung? Kann sie gar Überzeugungen ändern? Oder vom Wählen abhalten?

Wir müssen nicht auf finale Antworten warten, um über solche Fragen zu berichten. Aber in einer 26 000-Zeichen-Reportage an einer so zentralen Stelle diese Differenzierungen zu unterschlagen halte ich für – nun ja: manipulativ.

 

PS: Oh, und wir haben noch nicht mal darüber gesprochen, dass Clinton nichts vergleichbar geschicktes hätte machen dürfen, beziehungsweise sogar etwas vergleichbar ungeschicktes hätte tun müssen.

PPS: Ich fand den Artikel nichtsdestotrotz interessant, auch weil er nochmals zeigt, welchen Vertrauensbruch Facebook beging, als sie die ursprünglich privaten Likes öffentlich machten – und was für dubiose Schlüsse Unternehmen aus diesen Daten ziehen. Schlüsse, die Leuten schaden können.

Update: „Das Magazin“ hat die 1400% nun mit einer Fussnote erläutert.

 

 

  1. Dezember 7, 2016

    Bei den RIFFReportern wird es heute (Mittwoch) ein Live-Interview mit Kosinski geben. Falls Du Fragen an ihn hast, wäre das eine gute Gelegenheit (oder zuvor an den Kollegen Haluka Maier-Borst) https://www.facebook.com/riffreporter/posts/237494756681687

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