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Wie ich eine Teevolution loszutreten versuchte

14. Dezember 2017

herrfischer

Im Frühjahr drückte mir die Redaktion der ZEIT 500 Euro in die Hand (figurativ gesprochen), um damit ein «revolutionäres Produkt» zu erfinden und auf den Markt zu bringen – und darüber eine Reportage zu schreiben.

In dieser Wochen läuft nun die dritte Folge der vierteiligen Serie.

Ich wollte herausfinden, ob das mit dem Produzieren im Digitalzeitalter, mit dem 3D-Drucken und CNC-Fräsen wirklich so einfach ist. Ich wollte als Journalist aber auch einmal die Perspektive des Ahnungslosen einnehmen. Man schreibt ja immer nur darüber, wie etwas entstanden ist, und nie, wie es entsteht.

Es sollte mich zur Verzweiflung treiben (nicht figurativ gesprochen).

 

Nach vielen Stunden auf Kickstarter, in Asia-Shops und ewigem Brüten entschied ich mich, aus einem Deckel, den ich stets auf Milchpfandflaschen schraubte, um darin Tee kalt ziehen zu lassen («Cold Brew Tea» nennt man das in eingeschworenen Kreisen), ein serienreifes, revolutionäres Produkt zu machen:

Gut, das mag jetzt optisch noch nicht die Überschrift «Ein Deckel, der die Welt verändert» rechtfertigen. Aber ich war ja auch erst am Anfang. Eine erste Test-Version sah dann aber so aus:

Die Idee war, wie gesagt, einen Filterdeckel zu bauen, den man auf diese 10-Cent-Milchglasflaschen schrauben kann. Ich glaube das läuft unter Upcycling:

Und so landete ich im Berliner FabLab, um ein Modell aus dem 3D-Drucker zu entwickeln (der Cutter im Foto ist kein Product-Placement, ich hatte für alles dort bezahlt, kostete auch nur 15 Euro im Monat):

Das ging alles überraschend schnell und gut:

Und nachdem ich dann auch noch gelernt hatte, eine CNC-Fräse zu bedienen, sah der Deckel schliesslich nach einem funktionierenden Prototypen aus:

Ein Logo bestellte ich für $9.90 auf Fiverr:

 

So kam es, dass ich ein Video drehte und auf Startnext stellte:

Und dann lief alles etwas aus dem Ruder, denn die Idee erfuhr eine unerwartete Popularität. Etwas schien daran zu verblüffen. Ohne dass ich dafür warb, klappte das Funding in kürzester Zeit. Bei 150 Flaschen hielt ich es an.

Was hatte ich hier versehntlich in die Welt gesetzt? War Cold Brew Tea statt Coca-Cola vielleicht wirklich etwas, auf das die Welt wartet?

 

Vorerst aber begann die Produktion der 150 Flaschen. Ich rechnete mit zwei Monaten dafür. Sie sollte mich ein halbes Jahr lang Nachts aus dem Schlaf reissen und Flaschen durch den Raum schmeissen lassen. Spoiler: Ich bin noch immer nicht fertig, komme gerade aus der Fräserei. Letzte Korrekturen. Es wird.

Man will ja keine Fehler in Serie geben. Ich testete also nochmals jedes Material, das entfernt einem Sieb gleicht: Metallgewebe, Kunststoffsiebe, Kautschukschwämmen. Sprach mit Herstellern. Stoppte die Sekunden, die jedes Material braucht, ein Glas Tee zu filtern, sortiert nach Sorten. Ich probierte nochmals jede mögliche Methoden, um das Sieb zu fixieren: Pressen, Kleben, Schmelzen. Oder doch alles 3D-drucken?

Mein Vater – Stahlbauer – reagierte skeptisch, als ich mich für ein gewölbtes Streckmetall-Sieb entschied. Es möge elegant aussehen und einige gute Eigenschaften beim Filtern haben (die Erhebungen halten die Blätter leicht über den Lücken, sodass diese weniger leicht verstopfen), doch es sei widerspenstig in der Verarbeitung. Zahllose Abende verbracht ich in seiner Werkstatt, um eine Presse aus einem Stahlrohr und einer rundgefrästen Riesenschraube (einem Überbleibsel vom Bau des St. Galler Fussball-Stadions) zu bauen:

Schlägt man mit einem 5-Kilo-Hammer und viel Schwung fünf Mal auf die Schraube ein, wölbt sich das zähe Geflecht um die nötigen fünf Millimeter.

Ich frage mich gerade, warum ich das alles erzähle. Wahrscheinlich, weil ich es während Wochen für das relevanteste Thema in meiner eigenen 1-Personen-Filterbubble hielt. So sehen Sieb und Ring jetzt jedenfalls aus:

 

Einige Unterstützer wurden, verständlicherweise, ungeduldig (wer aussteigen wollte, erhielt sein Geld zurück). Der Gedanke an ihr Warten quälte mich wie wenig sonst in diesem Jahr. Dabei vertrich unfassbar viel Zeit mit unfassbar langweiligen Dingen. Ein Monat, um einen anderen Kunststoff zu finden, weil einer im Kühlschrank riss (der Moment, als die Flasche durch den Raum flog). Drei Wochen, weil ein Produktmuster nicht geliefert werden konnte. Und immer wieder Tage wegen kleinster Korrekturen (vielen Dank, Rob, für die Geduld!):

Es ist wirklich erstaulich einfach im Digitalzeitalter, ein Produkt zu fertigen. Und es ist sehr einfach geworden, die Schwierigkeiten massiv zu unterschätzen.

Nichtsdestotrotz, so weit mein Zwischenstand: Man sollte (vor allem auch als Journalist) einmal ein Produkt auf den Markt zu bringen versuchen. Um dieses Zusammenspiel aus Ideen und Wissen, Materialien und Maschinen, Zeit und Geld zu erleben, das die Welt bewegt, und das man dennoch kaum verstehen und beschreiben kann (ja, ich habe in diesem Jahr viel Nassim Taleb gelesen). Ich habe es in dieser vierteiligen Reportage dennoch zu beschreiben versucht, bei ZEIT Online und noch diese und nächste Woche im Ressort Z der ZEIT.

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