NEON wird eingestellt. Und damit auch die Infografik-Seite, die ich dort – stets grossartig illustriert von Laura Edelbacher – seit einem halben Jahr machen durfte (jetzt bitte keine Korrelationen rechnen).
Ich habe dem Heft und seinen Redaktionen viel zu verdanken. In der Neon konnten wir 2015 unsere Instagram-Daten-Idee umsetzen, aus der so viel weiteres entstand, von Buch bis hin zu Forschungsprojekten.
Vor einem halben Jahr versuchten wir dann nochmals etwas Neues. Die Idee der monatlichen Grafik war, Lebensfragen mit Daten zu beantworten. Fragen wie:
Wer verdient eigentlich an Fahrrad-Diebstahl?
Vergleicht man die Daten der Fahrrad-Diebstähle und der Fahrrad-Verkäufe, fällt schnell auf, wie stark sie korrelieren. Die Diebstahl-Ziffer beträgt konstant rund acht Prozent der Verkäufe, und das Jahr für Jahr:
Steigen in einem Jahr die Verkäufe, steigen auch die Diebstähle – und umgekehrt. Noch deutlicher sieht man den Effekt im Streudiagramm:
Das kann natürlich Zufall sein. Zwei Dinge, die einfach zufällig gleichzeitig rückläufig sind (leider gibt es die Verkaufszahlen nicht auf Länder- oder Städteebene, sonst könnte man sie genauer untersuchen).
Plausibler aber scheint, dass der Schwarzmarkt ein ganz normaler Markt ist, der einfach auf Angebot und Nachfrage reagiert. Die allermeisten geklauten Räder werden verkauft, hört man aus sachkundigen Kreisen. Diebe besorgen sie, Hehler verkaufen sie weiter. Aber geklaut wird nur so viel, wie der Zwischenhändler/Hehler Nachfrage hat. Und diese unterliegt den gleichen Schwankungen wie beim legalen Händler: Wetter, Wirtschaft, Trends. Tja.
Wer aber verdient alles daran?
Für den legalen Händler ist Diebstahl wohl ein Nullsummenspiel. Klaut jemand mein Rad, kann er mir zwar ein zweites verkaufen, dafür aber dem Käufer auf dem Schwarzmarkt keines. Für die Stimmung auf dem Markt ist Diebstahl sicherlich nicht super. Andererseits: Viele geklaute Räder verschwinden ins Ausland – schlecht für die Händler dort, gut für jene in Deutschland.
Dann ist da der Versicherer. Leider wissen wir nicht, wie viele ihr Rad wie versichern. Die meisten tun das wohl über die Hausrat. Und da fällt das Rad dann in eine Mischrechnung. Interessant wäre, die Combined Ratio (Schaden-Kosten-Quote) von reinen Radversicherern zu kennen. Ich konnte allerdings keine finden, die diese Zahl publik machen. Begnüngen wir uns mit der Schaden-Kosten-Quoten von Hausratsversicherungen, dann sieht es etwa so aus:
10-20 Euro dürfte der Versicherer an mir verdienen – pro Jahr. Not bad.
Noch weniger wissen wir über den Markt für Fahrad-Schlösser, da hier die Marktdaten nicht einzeln ausgewiesen werden. Wir können uns eigentlich nur an einer Empfehlung der Händler orientieren, wie teuer ein Schloss sein sollte:
30-50 Euro dürfte etwa mein Händler an meinem Schloss verdient haben.
Jetzt aber kommen wir zu dem, den man an die Decke kneten möchte vor Wut: der Dieb. Nun will ich nicht dazu animiren, die Wut auf ihn zu zügeln (ich schaffe es noch immer selbst nicht). Die Sache ist nur die, dass der Dieb in dieser Kette von allen, nun ja, fast am wenigsten profitiert:
Yep, Schlösser zu verkaufen ist zuweilen lukrativer als welche zu knacken.
Das eigentliche Geschäft macht – wie so oft – der Zwischenhändler/Hehler. Selbstredend veröffentlicht er keine Marktdaten. Aber anhand von ebay-Kleinanzeigen kann man zumindest abschätzen, wie viel er für ein Rad verlangen kann (und weil er nicht dumm ist, aber dumm wäre, würde er diesen Preis nicht verlangen, wird er ihn wahrscheinlich auch verlangen):
Und dann ist da noch – wie immer – das Silicon Valley:
Eine reges Gewerbe ist um den Fahrrad-Diebstahl herum entstanden, von dem am wenigsten der zu profitieren scheint, auf den ich am meisten wütend bin.
Doch halt! Fast hätten wir jemanden vergessen: Du – also falls du ein Rad auf dem Gebrauchtmarkt kaufst. Denn Diebstahl sorgt dort für mehr Angebot und niedrigere Preise – und das auch für Käufer nicht-geklauter Räder.
Wie viel aber machen geklaute Räder aus? Ehrlich gesagt: Ich weiss es nicht. Aber verrechnet man die Diebstahlzahlen mit der Dunkelziffer (wir dürfen sie laut Dunkelfeldstudie des KfN bei Rädern ruhig mit 100% veranschlagen) und dem Export in den Osten (nehmen wir Pi mal Daumen einfach ein Viertel), wären auf dem deutschen Schwarzmarkt grob geschätzt eine halbe Million Räder.
Legal verkauft werden 4 Millionen. Roland Huhn vom ADFC schätzt wiederum, dass für jedes zweite neu gekaufte Rad eines auf dem legalen Gebrauchtmarkt landet. Das wären zwei Millionen. Der Schwarzmarkt würde den Gebrauchtmarkt also um einen Viertel vergrößern. Oder in optisch schön:
Den Wirtschaftsnobelpreis gibt es für diese vage Rechnung nicht (und das nicht nur, weil es keinen Wirtschaftsnobelpreis gibt). Aber sie illustriert in etwa das Problem. Wenn euch bessere Schätzwege einfallen, schreibt sie mir gerne!
Wer übrigens die (nicht ganz kleine) Gefahr vermeiden will, ein geklautes Rad zu kaufen, verlangt vom Händler einen Ausweis und macht einen schriftlichen Kaufvertrag. Musterverträge bietet der ADFC.
Quellen: Polizeiliche Kriminalstatistik, Zweirad-Industrie-Verband,
Kriminologisches Forschungsinstitut Niedersachsen e.V., Stiftung
Warentest, Gesamtverband der Deutschen Versicherungswirtschaft (GDV),
eigene Recherche bei «ebay Kleinanzeigen»
Illustration: Laura Edelbacher für NEON
Ich habe nicht gewusst, dass jährlich so viele Fahrräder gestohlen werden. Interessant, dass sie dann ins Ausland verschwinden. Mein Fahrrad wurde auch letztes Wochenende geklaut. Zum Glück war es versichert.