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Ich, Erotikautor

Von der übergrossen Herausforderung, die erste explizite Szene zu Papier zu bringen. An einem Kurs, der das Handwerk des Erotik-Romanciers zu vermitteln verspricht.

Wenn ich den Lektor des Verlags richtig verstanden habe, könnte ich der John Grisham der erotischen Literatur werden. Jedenfalls habe ich gute Chancen, einen Erotik-Roman im gleichen Verlag zu veröffentlichen, in dem auch die Bücher von Dan Brown erscheinen. Wie auch immer man zu diesen beiden Autoren steht: Im Vergleich zur psychischen Verfassung, in der ich mich noch vor 48 Stunden befand, ist das ein gewaltiger Fortschritt.

Aus Gründen, die mir im Nachhinein schwer nachvollziehbar scheinen, hatte ich mich zum zweitägigen Seminar «50 Shades of You: Verfassen Sie einen erotischen Roman» angemeldet, das der Kölner Verlag Bastei Lübbe neben Kursen im Schreiben von Regionalkrimis, Memoiren oder Dramen für 580 Franken anbietet.

Bastei Lübbe kennt man sonst vor allem von Kiosk-Romanen wie «Der Bergdoktor» oder eben Megasellern wie den Büchern von Dan Brown. Ich hatte bis zu diesem Zeitpunkt «Fifty Shades of Grey» allerdings noch nicht einmal gelesen, geschweige denn etwas Derartiges zu Papier gebracht. Dann erhielt ich kurz vor Seminarbeginn noch eine E-Mail: Ich möge doch schon mal ein Exposé und eine Leseprobe meines erotischen Roman-Projekts einreichen. Ich stürzte in ungekannte Verzweiflung.

Der Chat mit einer Freundin, Sexualpsychologin, liest sich rückblickend wie das Sitzungsprotokoll eines verklemmten Neurotikers auf Freuds Couch. Nur, dass «Freud» ständig mit Bemerkungen antwortet wie: «hahahahaaaaaaaa» oder «klingt doch suuuuuuper!!!!!» (als ich gestehe, dass mir das alles echt peinlich sei), «guuuut» (weil ich mich gerade in «Fifty Shades of Grey» einlese) oder «och komm, das ist jetzt mal ne Herausforderung!» (als ich sage, dass ich schon beim Gedanken an das Seminar Schüttelfrost kriege). Aber interessant sei es schon, schreibt sie noch: «Jeder schämt sich irgendwie für seine Phantasien, diese nur schon dem Partner mitzuteilen. Und zum Schluss vereinsamt man mit den eigenen Phantasien.» Ich antworte: «Ich habe, glaub ich, gar nicht so abgefahrene sexuelle Phantasien. Ich lese dieses ‹Shades of Grey›» und denke: Okay, aber lass mal die Peitsche weg, dann könnte ich’s vielleicht geil finden.»

Entstanden sind dann doch noch einige Roman-Ideen, die ich aber alle schnell wieder verwarf (zu persönlich, zu langweilig, zu krank), darunter dürftige Eingebungen wie: Junger Lokaljournalist muss über die Dienste einer neuen Domina berichten. Sie bietet ihm eine Kostprobe. Er lacht darüber; dann findet er es erregend. Fortan lässt er sich von ihr für seine schlechten Artikel bestrafen.

«Habt keine Scheu vor erotischen Szenen, vergesst einfach Oma und Opa, lasst alle moralischen Schranken fallen», sagt unsere Seminarleiterin zu Kursbeginn. Sie heisst Sandra Henke, ist 40, hat eine stachelige Frisur und einen Armreif in Form einer Handschelle. Laut Klappentext ihrer Bücher («Opfer der Lust», «Das Lustroulette», «Die Mädchenakademie») gehört sie zu den erfolgreichsten erotischen Autorinnen Deutschlands. Ich hatte sie extrovertierter erwartet, nachdem ich ihre Bücher gelesen hatte. «Was ihr schreibt, muss nicht autobiografisch sein», fügt sie noch hinzu. «Der Krimiautor hat auch noch keinen getötet. Aber ihr müsst euch gut in die Figuren hineinversetzen können.»

Meiner Platznachbarin dürfte das nicht ganz leichtfallen. Sie verfasst erotische Fantasy-Literatur über erregte griechische Gottheiten während des Nachtdiensts in der Apotheke. Bei den anderen mache ich mir weniger Sorgen. Das ist das Fiese beim erotischen Schreiben: Man setzt immer Autor und Geschichte gleich. Immer.

Da ist das Ehepaar aus Bayern, zwei Ingenieure vor der Pensionierung. Er erinnert an Peter Lustig aus «Löwenzahn». Im Geiste ist er Alt-68er. Sie könnte auch in einem Schmuckgeschäft arbeiten. Ihre Geschichte handelt von einem Paar, das seine abflauende Sexualität unter anderem mit Sadomaso wieder anfachen will. Mir gegenüber sitzt eine junge angehende Wirtschaftsprofessorin aus Schwaben. Ihr Roman hört sich clever an, würde auch ohne Kopulationen tragen. Und dann ist da noch Nina, Mitte vierzig, Malerin. Sie erinnert mich optisch irgendwie an Alice Schwarzer, nur sympathischer. Ich habe etwas Angst vor ihr, denn am Ende ihrer Geschichte soll ein Mann als Strafe für seine Missetaten von zwei Frauen vergewaltigt werden.

Mein eigenes Roman-Projekt ist im Zug nach Köln entstanden. Es ist insofern schamlos, als ich in meiner Not alles schamlos kopiert habe. Der Plot ist von «Fifty Shades of Grey», nur dass mein Protagonist ein erfolgreicher Startup-Unternehmer ist, der eine App namens «Gang Bang With Friends» erfunden hat, was eine schamlose Kopie der App «Bang With Friends» ist, mit der man sich über Facebook zum freundschaftlichen Geschlechtsverkehr verabreden kann. «Gang Bang With Friends» ist noch kränker, sprich: für Gruppen. Am kränksten ist aber der Protagonist, weil er sich – da er ja Zugriff auf die Datenbank der App hat – immer selbst in diese Orgien einschleichen kann, bei denen es übrigens Usus ist, dass alle diese hippen Tiermasken tragen. Er hat es dabei vor allem auf eine abgesehen und sie es bald auch auf ihn. Ich finde diese Geschichte einigermassen lächerlich, und sie überzeugend vorzutragen, gelingt mir nur, indem ich ständig sinnlose Adjektive wie «interessant!» oder «spannend!» in meine Präsentation einstreue. Aber bei den Tiermasken und den Apps, da beginnt das ganze Seminar zu lachen. «Das ist neu, so etwas habe ich noch nie gehört», sagt meine Lehrerin, SM-Autorin immerhin. Einer aber ist sehr aufmerksam geworden: Der Lektor des Verlags, der auch als Talent-Scout hier ist. «Sehr gut», raunt er. Wie sich herausstellt, sucht Bastei Lübbe seit «Fifty Shades of Grey» und dem Aufkommen von E-Books moderne Erotik-Geschichten, die in hippem, urbanem Milieu spielen. Explizite Kurzromane für eine aufstrebende Generation junger Frauen mit Tablets und Smartphones. Ich habe durch mein schamloses Copy-Paste versehentlich genau eine solche Geschichte kreiert.

Meine Euphorie, als Erotik-Romancier zu debütieren, verfliegt allerdings schnell. Zwar habe ich mittlerweile alles über Plots und No-gos gelernt, habe ein Soziogramm meiner Figuren erstellt und ihre sexuelle Erfahrungs-Tabelle ausgefüllt. Aber noch habe ich mich zu keiner einzigen expliziten Szene überwinden können. Mit der glorreichen «Gang Bang With Friends»-Idee habe ich mich ausserdem in die literarisch diffizile Lage manövriert, dass der erste Sex gleich zwischen einer Frau und zwei Männern stattfinden muss. In Tiermasken. Tut mir leid, aber ich kriege diese meine Figuren einfach nicht überzeugend zusammen. Sie stehen sich grad in der natürlich total hippen Wohnung gegenüber. Etwas verlegen habe ich ihnen ein Glas Wasser in die Hand gedrückt.

«Du bist sehr gut darin, prekäre Szenen zu konstruieren», lobt mich meine Lehrerin bei der Textbesprechung. In Wahrheit bin ich nur sehr schlecht darin, sie zu vermeiden. «Aber deine Figuren haben noch kein Leben», tadelt sie. Ich stimme zu. Vor allem haben sie noch kein Sex-Leben. Doch Sandra Henke ist Profi. Sie kann Geschichten wie meine im Handumdrehen zu einem Happy End führen. Oder Figuren zum Sex bewegen: «Du könntest mit einem voyeuristischen Einstieg beginnen. Der Unternehmer könnte, da dominant veranlagt, zuerst Befehle geben, dass sie, die Frau, sich streicheln soll, was sie gerne tut, weil dieser Tabubruch sie erregt. Dann muss der Zweite hinzu. Aber irgendwann sagt der Unternehmer, sonst ein Meister der Beherrschung: stopp!, geht selbst ran, und eine Ménage à trois entspinnt sich.» Das mag man nun finden, wie man will. Aber erzählerisch funktioniert es top.

Am Ende des Seminars tragen wir aus unserem Werk vor. Nina liest die Passage, in der der Mann, der lustvoll vergewaltigt werden soll, bei einer Vernissage eine Unbekannte einzig mit seinem Geruch und ein paar Worten verführt, ihr dann seine Finger zwischen die Beine schiebt und einen Vulkan zum Brodeln bringt. Ich kann nicht ganz nachvollziehen, wie das einfach so gehen soll. Doch sowohl meine Nachbarin, die Fantasy-Autorin, als auch mein Gegenüber, die Wirtschaftsprofessorin, finden es völlig überzeugend. Entweder bin ich zu naiv. Oder zu abgeklärt. Oder – in meinem Kopf zieht sich eine düstere soziologische Überlegung zusammen – es mag ja sein, dass man mit seinen Phantasien vereinsamt, weil man sie nicht äussert, wie meine Kollegin meinte. Vielleicht vereinsamen aber auch alle gemeinsam, weil sie Phantasien für voll nehmen, die Texthandwerker wie wir hier zusammenklopfen, nur damit unsere Geschichten funktionieren.

Aber wahrscheinlich sehe ich das zu schwarz. Zumal sich nun, als bereits alle gegangen sind, der Lektor nochmals an mich wendet. Meine Idee mit den Apps, das habe dieses gewisse Etwas und Neuartige, meint er. Ich solle ihm ein Exposé schicken. Er erzählt etwas von John Grisham und Thomas Mann, dass sie das einmal untersucht hätten, was grosse erfolgreiche Romane ausgemacht habe, dass es da immer um die Beschreibung von Lebenswelten ging. Die Welt der Kaufleute, die Welt der Anwälte. Und nun also ich mit den digitalen Jungunternehmern. Wenn sich doch nur nicht mein halber Freundeskreis in dieser Lebenswelt bewegen würde. Aber das Problem hatte John Grisham ja auch.

Erschienen in der NZZ am Sonntag

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