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Sind Schweizer in Berlin Touristen?

6. September 2012

herrfischer

Die Kollegen vom «Tagblatt» hatten mich gebeten, doch etwas über den angeblichen Touristen-Rollkoffer-Hass in Berlin und die Frage zu schreiben, ob sich denn nun junge Ostschweizer auf dem nächsten Städtetrip fürchten müssen. Ich entschied mich für ein schlichtes Q&A.

Stimmt es, dass in einem Berliner Park eine Rikscha mit Flaschen beworfen und mit «Scheiß Touris, das ist unser Park. Verpisst euch!» beschimpft wurde?

Die Geschichte kursiert seit einiger Zeit in den Berliner Medien, ja.

Ist Berlin jetzt gefährlich?

Na ja, bislang ist es beim Rikscha-Angriff geblieben. Meine Freundin lebt seit fünf Jahren in Berlin. Letzte Woche wurde sie zum ersten mal ausgeraubt. Allerdings in Zürich.

Auf Wänden soll aber «Zündet Touristen an» oder «Touris fuck off» stehen!

Auf Berliner Wänden steht viel. An einer stark frequentierten S-Bahn-Station zum Beispiel gross: «DEUTSCHLAND VERRECKE!!!» Oder auf dem Display meines Bancomats: «FUCK BANK».

Man muss also nicht ernst nehmen, was auf Berliner Wänden steht?

Es ist wie mit den Sternzeichen. Sicher wollen sie einem etwas sagen. Aber ihre Botschaften sind in der Regel zu allgemein, um daraus lebenspraktische Konsequenzen zu ziehen.

Sind Schweizer in Berlin überhaupt Touristen?

Wenn sie weniger lang als ein Semester bleiben, ja.

Wie kleide ich mich, um nicht als Tourist aufzufallen?

Der Gesamtwert der Kleider sollte 50 Franken nicht übersteigen (keine Sorge, das versteckte Geld im Gürtel nicht mit eingerechnet). Aber sobald man als Schweizer den Mund aufmacht, wird man sowieso gleich erkannt.

Sollte man als Schweizer zu seiner eigenen Sicherheit schweigen?

Theoretisch ja. Aber jeder Schweizer hat in Berlin irgendwann das unüberwindbare Bedürfnis, die Preise, die Sauberkeit und die Pünktlichkeit der Züge mit der Schweiz zu vergleichen und seine Gedanken dazu zu äussern. Der Autor weiss das aus eigener Erfahrung.

Welche Viertel sind für Touristen besonders gefährlich?

Abgesehen von Zürich, keine. Erwähnte Wandsprüche kommen wohl aus den Szenevierteln Kreuzberg, Friedrichshain und Neukölln, wo Touristen ein relativ neues Phänomen sind. Aber etwas Neues ist in Berlin nicht lange neu. Die Menschen gewöhnen sich schnell daran.

Sind die Angriffe denn politisch motiviert?

Weil eine politisch motivierte Flasche an den Kopf weniger weh tut?

Ist mehr eine Frage aus Interesse an der fremden Kultur.

In Berlin ist alles politisch motiviert. Wenn auch oft nur gefühlt, im Stil von: Man ist nicht eigentlich gegen, aber mit ist es halt anders und das ist irgendwie schade, denn eigentlich war es ohne ganz schön, und deshalb ist man dagegen. Verständlich?

Berlin muss doch froh sein um unser Geld!

Berlin ist eine griechische Insel, ja. Von Touristen abhängig und pleite. Tourismus ist der wichtigste Wirtschaftszweig. Also ja, wir finden das Geld gut. Auch, dass es immer mehr wird.

Warum vertreibt man dann die Touristen?

Das Inseldilemma. Einige haben hier ein Paradies gefunden, sind aber nicht den langen Weg übers Meer gefahren, nur um jetzt Fremde an ihre Strände zu lassen.

Ist das nicht etwas vereinfacht?

Ja, wahrscheinlich schon. Aber Politik und Ferien sollte man trennen. Man wird sonst wahnsinnig.

Stimmt es, dass Rollkoffern die Reifen aufgestochen werden?

Nein, den Mercedes.

Und was ist mit der Rikscha passiert?

Sie hat trotz der Flasche nicht das Gleichgewicht verloren und kommt wahrscheinlich bald in eines der vielen Museen, für die Berlin so beliebt ist. Es haben sich mittlerweile auch Komitees zur Bekämpfung von Touristenhass gebildet. Berlin hat generell sehr viele Komitees.

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