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Unsympathische Tiere

Tierschutz ist unfair. Unsympathische Tiere haben es im Tierschutz schwer. Es sei denn, sie sind richtig hässlich.

Es gibt in der Schweiz mehr Igelstationen als Frauenhäuser, 22 allein in der Deutschschweiz. Man könnte aus dieser Zahl schliessen, der Igel sei bedroht, vielleicht sogar am Ende. Wird einer verletzt, muss die nächste Ambulanz nah sein. Es könnte der letzte im Sterben liegen.

Doch dem Igel geht es prächtig. Im Wald lebt er nur deshalb nicht mehr, weil er in den Gärten von Seebach und Wollishofen einen noch angenehmeren Wohnort gefunden hat, der kleine Spiesser. Zu seinen wenigen Gefahren gehört höchstens noch die vorauseilende Fürsorge von uns Menschen: Igelbabys werden manchmal für Waisen gehalten und voreilig adoptiert. Aber auch das passiert selten.

Die Fledermaus hingegen ist wirklich bedroht. Manche ihrer Arten sind dem Aussterben nahe. Ihre Nahrung ist knapp und diese verflixten energieeffizienten Häuser bieten kaum noch Unterschlupf. Sieht man im Wald eine Große Hufeisennase (so man sie denn als solche erkennt), könnte es die letzte sein. Es müsste in der Schweiz also zig mal mehr Fledermaus- als Igelstationen geben. Komischerweise gibt es nicht einmal halb so viele.

«Auch im Tierschutz setzt man gerne auf Jö-Tiere», meint Antoine F. Goetschel auf die Frage, warum selbst ähnliche Tiere so ungleich viel Schutz kriegen. Auffangstationen für verletzte Ratten oder Marder gibt es übrigens keine; solche für Fische gerade mal eine. «Das ist weniger im rechtlichen Bereich der Fall. Aber wenn es darum geht, Tiere zu unterstützten, greift man gerne auf das Chindli-Schema zurück. Man hatte den Bären oder einen Delfin ja schon als Knuddeltier. Für diese Tiere ist es einfacher, Unterstützung zu mobilisieren.»

Goetschel erlangte als Zürcher Tieranwalt Bekanntheit. Heute sagt er von sich selbst: «Ich bin ein Freigeist.» Er ist mittlerweile weder auf Spenden von Gönnern noch auf das Wohlwollen der Politik angewiesen. Er braucht auf Sympathiewerte keine Rücksicht zu nehmen, ist also der richtige Mann, um über sympathische und unsympathische Tiere zu reden.

Die Ungleichheit geht bis vor Gericht. Vor dem Schweizer Gesetz sind zwar alle Wirbeltiere, Fisch wie Vogel, gleich. Es sei denn, es sind sympathische Säuger. Dann ist die Wahrscheinlichkeit, dass jemand ihren Quäler vor Gericht bringt, um ein Vielfaches höher. Von 7500 Tierschutz-Straffällen, die in den letzten 30 Jahren verhandelt wurden, betrafen neunzig Prozent Säuger. Vögel kamen auf knapp 5 Prozent. Den Rest teilten sich Reptilien und Fische. Das P.M.-Magazin hatte neulich 510 Leute gefragt, welches die unbeliebtesten Tiere sind. Nummer 1 war die Schabe, gefolgt von der Ratte, der Spinne, dem Wurm, der Made, der Qualle und der Schlange. Will heissen: Was kein Fell, keine Farbe und keine Mimik hat und noch dazu keine Töne von sich gibt, ist unten durch. Interessanterweise auch vor Gericht.

«Wir laufen Gefahr, Tiere zu vermenschlichen», meint Goetschel. Sie tun uns dann Leid, wenn wir uns in ihnen wiedererkennen. Dafür ist nicht nur Walt Disney mit seine sprechenden Mäusen/Enten/Rehen/Füchsen verantwortlich. Auch die Politik – von links bis rechts – projiziert ihre Freund- und Feinbilder aus der Menschen- in die Tierwelt. «Die Grünen kommen vom Artenschutz. Da spielt viel Wildtierökologie mit rein. Tiere als Teil des Ökosystems, Tierversuche, Gentechkritik, das sind rot-grüne Themen», sagt Goetschel. «Als es aber um Heimtiere ging, waren es vor allem die Mitteparteien bis hin zu einzelnen Exponenten der SVP, die sich etwa dafür stark gemacht haben, dass Tiere keine Sache mehr sind.» Anders gesagt: Experimentiert Novartis mit Mäusen, ist den kleinen Nagern die Sympathie der Grünen sicher; sind sie in den Fängen meines kleinen Bruders, reagiert weder das ökologische Gleichgewicht noch das grüne Gewissen.

Die Schweizer haben sich direkt-demokratisch das schärfste Tierschutzgesetz auferlegt, zu dem sich Menschen je gezwungen haben. Die Tiere hatten hier schon Rechte, da durften die Frauen noch nicht einmal flächendeckend wählen. Auch eine Würde haben wir dem Tier zugesichert. Und ja, wer seinen Hund im Sommer im Auto verenden lässt, chund (zumindest theoretisch) in Chäfig.

Handkehrum verbieten wir auch schon mal, was uns im Tierreich nicht sympathisch ist. Oder an Leute erinnert, die uns sowieso noch nie sympathisch waren. 2008 stimmten die Zürcher für ein Kampfhundverbot. Was ein «Kampfhund» sein soll, wusste zwar niemand, schliesslich kann man jeden (oder fast jeden) Hund zum Kampfhund erziehen. Am Ende waren auf der Liste: Der Bull Terrier, der aussieht wie eine Riesenratte, und drei weitere Terrier-Sorten, die eher wie Türsteher als Polizisten erscheinen.

Womit man jedoch dem Stimmvolk gar nicht kommen muss, sind Fische. «Wir haben Jahrzehnte gebraucht, die Haltung und den Fang von Fischen zu reglementieren», sagt Hansuli Huber vom Schweizer Tierschutz, auf das Thema Sympathieträger angesprochen. Und so war es auch ausgerechnet ein Fisch, der dazu beigetragen hat, dass Goetschel sein Mandat als Zürcher Tieranwalt verloren hat. Als Goetschel vor Gericht ein Pony vertrat, das im Kreis herum getrieben wurde, bis es zu Tode kam, seien alle auf seiner Seite gewesen. Als er einen Hecht vertrat, den ein Fischer hat zappeln lassen bis er starb, fragten sich die Kommentareschreiber von Tagesanzeiger.ch: «Haben wir eigentlich noch andere Probleme in diesem Land ? Diese ganze Diskussion ist ja aber langsam aber sicher völlig absurd !» Kurz darauf wurde die Tierschutzanwalt-Initiative abgelehnt und Goetschel versehentlich seines Amts enthoben.

Was kann man also tun, wenn man sich für schwer zugängliche Authisten wie den Fisch einsetzen will? Ihm Kunststücke beibringen oder die Flosse frisieren? Ihn verkleiden oder für Botengänge nützlich machen? Letzteres brachte zumindest der Taube, der «Ratte der Lüfte», einige Sympathie ein. Aber wie sagen die Amerikaner: «You can put lipstick on a pig, but it is still a pig!» Nein, man muss das Schwein Schwein und den Fisch Fisch sein lassen, das zeigt zumindest das Beispiel der Fledermaus, die dem Menschen doch noch sympathisch geworden ist. In den letzten 20 Jahren wurde vor allem an Schulen intensiv für sie geworben. Und zwar nicht etwa mit Comicfiguren, sondern mit grossformatigen Nahaufnahmen.

Und mit Erfolg, wie mir Hans-Peter Stutz, Geschäftsführer der «Stiftung zum Schutze unserer Fledermäuse» versichert: «Es sind heute die Eltern, die denken: Wäh, eine Fledermaus! Und dann erklären ihnen die Kinder, wie es wirklich ist. Und die finden die Fledermaus cool, megacool.» Warum der Wandel gelang? «Bei Fledermäusen haben alle extreme Vorurteile», sagt Stutz. «Aber dann schaut man genauer hin und es macht Klick. Man sieht zum Beispiel, dass die Fledermaus einen weichen Pelz hat. Sie ist nicht ledrig, wie man meint.»

Das sei aber wahrscheinlich nur mit wenigen Tiergruppen so zu machen, meint Stutz. Bei einem Marder werde es schwierig. Denn da macht auch bei genauerem Hinschauen wenig «Klick». Ob wenigstens der Fisch für den Klick unsympathisch genug ist? Zumindest die «Auffangstation für Aquariumfische» hat bereits erste Nachahmer.

Erschienen 2011 im Zürcher Magazin Kinki.

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