Beiträge aus der Kategorie ‘Friday’
Für das Wochenendmagazin «Friday» von «20 Minuten» schreibe ich eine Kolumne – diesmal über das Schweizersein in Deutschland:
Seit bald zehn Jahren lebe ich als Schweizer in Berlin. Und warte ständig darauf, dass mir meine deutschen Freunde, Kollegen oder Nachbarn sagen: «So wie viele deiner Landsleute unseren Landsleuten gegenüber eingestellt sind, wollen wir auch nicht mehr freundlich zu dir sein.» Nach dem Abstimmungsergebnis am Sonntag bin ich umso erstaunter, dass meine Befürchtungen bis jetzt nicht eingetroffen sind.
Ich war einer von denen, die für ihre Lebensziele eine Landesgrenze überschreiten mussten. Ich habe Familie und Freunde zurückgelassen, den Bodensee und die Berge. Ich war nicht anders als der Deutsche, der in die Schweiz geht. Oder der Somalier, der nach Deutschland will. Wir wollen etwas erreichen. Wir riskieren zu verlieren. Der Somalier vielleicht sogar sein Leben.
Als Ausländer habe ich mich in Deutschland trotzdem wie ein Arsch benommen. Ich hatte diese Haltung, alles mit der Schweiz zu vergleichen und lauthals meine Schlüsse daraus zu ziehen. Einmal sagte ich allen Ernstes: «Wir Schweizer sind einfach besser: fleissiger, gebildeter und so erfolgreich, weil wir so bescheiden sind.» Man hätte mir Badi-Verbot erteilen sollen für meine Dummheit. Doch komischer- weise blieben alle meine deutschen Freunde immer freundlich. Nie erlebte ich ein Ressentiment. Nie.
Danke dafür, Deutschland. Danke, dass ich ein Arsch sein konnte. Und danke, dass ihr mich nie in Sippenhaft genommen habt für die Meinungen meiner Landsleute. Nicht einmal dann, wenn ich sie teilte. Das hat meine Meinung über euch geändert.
Für das Wochenendmagazin «Friday» von «20 Minuten» schreibe ich eine Kolumne – diesmal über die verachtete Kunst des Selfies:
Seit «Selfie» Wort des Jahres 2013 ist, wird der sich selbst Fotografierende verhöhnt. Das Thema Selbstportrait dient als Beispiele dafür, wie egoman unsere Zeit sei. Professoren warnen schon, dass wir nicht mehr ernsthaft miteinander reden, weil wir ständig auf die nächste Fotogelegenheit warten.
Es scheint nur noch einen zu geben, der den Selbstfotografen verehrt: Me, myself and I. Ja, ich bewundere Menschen, die mit lässig selbstbewusstem Blick und souveränem Lächeln in eine Kamera schauen können, am Bildrand vielleicht noch zufällig der Papst und dazu der Hashtag #beimirläufts.
Mein Leben bietet durchaus Kulissen für Selfies. Ich stehe schon mal auf Hochhausdächern und schaue BASE-Jumpern über die Schulter. Manchmal treffe ich Prominente. Doch gibt kein Foto von mir, das Freundinnen nicht entweder mit ratlosem «Hm» kommentieren oder das dazu führt, dass diese Freundinnen mir auch gleich ein Selfie ihres neuen Freundes zeigen – einem Rembrandt seiner selbst. Als Beispiel dafür, wie ich besser wirken könnte.
Letztens musste ich ins Fernsehen. In einer Talk-Show ein paar Sätze sagen. Es gab ein paar Millionen mehr Zuschauer als ich Facebook-Freunde habe. Ich hatte trotzdem keine Angst. Fernsehen ist grosszügig. Man darf viele Gesichtsausdrücke mitbringen. Ich sehe im Bewegtbild zwar etwas ritalinbedürftig, aber lebendig aus. Fotos hingegen fragen mich: «Wie gehts dir?» Sie wollen wissen, ob ich fröhlich oder wütend oder nachdenklich bin. Als wäre ich ein Emoticon. Ich weiss auf so was nie eine Antwort. Andererseits wäre es nicht schlecht, sich über seine Gefühlslage stets im klaren zu sein. Deshalb Vorsatz für 2014: Paparazzo meiner selbst werden.
Für das Wochenendmagazin «Friday» von «20 Minuten» schreibe ich eine Kolumne – diesmal über die aussterbende Kunst des Witze-Erzählens:
Seine Witze waren so schlecht, ich will sie hier gar nicht weiter verbreiten. Einen nach dem anderen haute der Senior raus. Und die alte Dame konnte sich vor Lachen kaum halten auf ihrem Sitz im Trämli. «Woher haben Sie all die Witze?», fragte sie in einer Atempause. «Die erfinde ich selbst», meinte er und lieferte gleich den nächsten. Es war eine trostlose Fahrt.
Und trotzdem dachte ich: «Respekt!» Wer kann heute noch Witze erzählen, geschweige denn erfinden? Wer, ausser eben alte Männer mit Altherrenhumor? Wir sind so besessen von Authentizität und Spontanität, dass wir diese einstudierte, künstliche Erzählform Witz nur noch peinlich finden.
Nicht dass wir in Zeiten grosser Traurigkeit leben würden. Im Gegenteil. Wir posten Wortspiele auf Twitter und Fun-Facts auf Facebook. Aber wenn es zu fortgeschrittener Beizen-Stunde heisst: «Kennt ihr den schon?», dann folgt nicht ein Witz, sondern ein Video auf einem Smartphone.
Letztens war ich beim Konzert einer Band. Eine technisch bedingte Pause wollte die Sängerin mit einem Witz überbrücken. Schon bei der Ankündigung spürte man, wie alle unruhig dachten: «Oh-oh, das ist sehr mutig!» – als würde sie gerade zum Crowdsurfen in ein Kirchengestühl springen.
Eigentlich wollte ich den Witz hier erzählen. Die Pointe sass. Es wäre ein Beweis, dass auch Menschen unter 60 noch Witzen reissen können. Aber dummerweise habe ich ihn bei «witze-fun.de» nachgeschlagen – mit den Stichworten «kettensäge» und «muschi» – und sehe: Nur gerade 2,5 Sterne hat er und alt ist er auch noch.
Gedruckt erschienen in leicht gekürzter Fassung.
Neuerdings schreibe ich für das Wochenendmagazin «Friday» von «20 Minuten» eine Kolumne – diesmal über das T-Shirt-Tragen:
Mit dem TEXAS-T-Shirt begannen die sozialen Probleme. Ich war bislang Hemden-Träger, weil man als Journalist ein Outfit braucht, das überall hin passt. Dann jedoch erhielt ich dieses TEXAS-T-Shirt mit dem Longhorn-Rind drauf und kam auf den schlechten Geschmack.
In jedem noch so schäbigen Souvenirladen kaufte ich fortan ein T-Shirt. Selbst dann, wenn ich den Ort schnell wieder vergessen wollte. Nach einem Spiel der Chicago Blackhawks besorgte ich mir ein rotes Fan-Shirt mit einem Indianer-Kopf drauf, obwohl das Spiel langweilig war wie zwei Stunden Stummfilm und amerikanische Eishockey-Fans so frenetisch jubeln wie Kinopublikum.
Als ich in Iowa eine Traktorenfabrik besuchte, verliess ich sie in einem grünen T-Shirt mit Mähdrescher drauf. Seither reagiert meine Umwelt, als wäre ich Burka-Träger. Ich werde am Flughafen beim Sicherheits-Check angehalten, weil der Beamte im früheren Berufsleben Farmer war und sich nun mit mir über Traktoren unterhalten will. Wegen dem Polo-Shirt einer englischen Rugby-Mannschaft werde ich mit Dieter Bohlen verglichen.
Liebe Umwelt: Ich hatte noch nie einen Eishockeyschläger in der Hand und meine landwirtschaftlichen Fähigkeiten beschränken sich auf das Rasenmähen. Ich trage diese T-Shirts nur aus Freude an den Farben. Das ist so, wie wenn sich Leute ein Poster von Rolf Knie an die Wand hängen. Die fragt man auch nicht, ob sie Clowns oder Akrobaten sind.
Gedruckt erschienen in leicht gekürzter Fassung.
Neuerdings schreibe ich für das Wochenendmagazin «Friday» des Schweizerischen «20 Minuten» eine Kolumne über Themen, die ich momentan auch noch nicht klar umreissen kann. Zum Beispiel das Laufschuhe-Kaufen:
Neue Laufschuhe kaufen ist wie «National Geographics» lesen. Minutenlang betrachte ich auf den Webseiten von Sportartikelherstellern, wie Schuhe in Zeitlupe in Pfützen treten. Oder wie eine Naht hundertfach vergrössert aussieht. Doch dann schlägt die Skepsis ein wie ein Blitz. Über einen Schuh lese ich, dass er für ein «barfussähnliches Laufgefühl» sorge. Wie bitte? Sollten Schuhe nicht genau dieses Gefühl vermeiden? Von einem angeblich «revolutionären Modell» heisst es, dass es eine «energierückführende Zwischensohle mit Boost™ Schaum» habe. Hm. Eigentlich gehe ich Joggen, um Energie abzulassen. Was will ich Sohlen, die sie mir zurückführt?
Über einen anderen revolutionären Schuh, mit dem man aussieht, als würde man auf fünf Schläuchen gleichzeitig stehen, lese ich: «Das patentierte CloudTec® System verwandelt Laufenergie in Vorwärtsbewegung.» Ich bin ja kein Physiker. Aber braucht es wirklich ein patentiertes System, um sich beim Laufen nach vorne zu bewegen? Überhaupt bin ich mir nicht sicher, ob es technischen Fortschritt bei Sportschuhen denn gibt. Und falls doch: Laufen energierückführende Zwischensohlen nicht unter Doping?
Ich gehe in ein Laufschuhgeschäft. Den Besuch habe ich lange hinausgezögert, denn er fühlt sich mittlerweile wie ein Arzttermin an. Ich habe Angst, dass meine Füsse auf dem Laufband gefilmt werden und herauskommt, dass ich ohne Boost™ Schaum nicht mehr laufen kann. Doch Unerwartetes passiert. Vielleicht habe ich zu Birkenstock verirrt. Vielleicht bin ich auch einfach an den einzigen Sportartikelverkäufer geraten, der sich nicht als Arzt und Ingenieur versteht. Jedenfalls gibt er mir recht normale Schuhe zum Probieren und fragt dann so ein altmodisches Wort, das mir bei meiner ganzen Recherche nie aufgefallen war: «Bequem?»
Gedruckt erschienen in leicht gekürzter Fassung.